Wuffis Rückreise in die Heimat verlief beinahe reibungslos. Er hatte es sich erst auf einem der Zugsitze gemütlich machen wollen, war dann aber unter einer der Sitzbänke eingeschlafen und erwachte erst wieder, als ihn ein niederländischer Schaffner mit „Uw plaatsbewijs alstublieft!“ ansprach.
„Ähhh, wat?“ schreckte der müde Fahrgast auf und stieß sich den Kopf an der Bankunterseite. Anschließend kroch er unter der Bank hervor und zeigte seine Fahrkarte, die er glücklicherweise gekauft hatte und nun an einem Lederriemen um seinen Hals trug.
„Ist doch besser als Schwarzfahren“, dachte Wuffi. „Wer weiß, wie streng die niederländischen Gesetze sind?“ Er gähnte und kroch zurück unter den Sitz, um auch den Rest der Fahrt zu verschlafen.
Unterdessen war Indianerin auf dem Weg in die Suchtklinik. Schließlich musste irgendjemand die Lage im Blick behalten und nachschauen, wie es Myjonda ging. Die heilkundige Frau war aufgeregt und wusste nicht mehr, wo ihr der Kopf stand. Sie hatte gerade noch im Palast und Wuffi Bescheid geben können, was passiert war - dann waren sie und die Blumen des Tipis verwiesen worden. „Mein Tipi - einsturzgefährdet!“ Indianerin schüttelte fassungslos den Kopf.
Immerhin waren die Blumen gut versorgt. Indianerin hatte KleineBlume und Sonnensprösschen in Qualles Obhut zurückgelassen. Qualle wollte die beiden mit zu sich nach Hause nehmen - in ein großes Meerwasserquarium in der Nähe. Dort gab es auch einen Imbissstand und sie hatte den kleinen Pflanzen nach alle der Aufregung eine Pommes versprochen.
„Na, dann kommt mal mit!“ blubberte sie. Sie standen noch vor dem Tipi, das immer noch von den Baustatikern begutachtet wurde. In den Fußboden hatte Myjonda in ihrer Feierlaune zum Teil Löcher getreten, in denen nun das Wasser stand. Mindestens eine Holzstange stand so schief, dass sie jeden Moment umzukippen drohte. Indianerins Wohnung und Zufluchtsort bot einen desolaten Zustand.
Qualle seufzte. Dann stellte sie die Nacht- und Außenbeleuchtung ihres Aquariums an, denn zwischenzeitlich war es dunkel geworden. „Cool! Darf ich auch mal an- und ausmachen?“ fragte die technikbegeisterte KleineBlume eifrig, doch Quelle schüttelte ihren Schirm. „Wir gehen jetzt!“
Sie machten sich auf den Weg.
„Was meinst du, wie geht’s Myjonda?“ flüsterte KleineBlume nach einer Weile. Sie rollerten über einen finsteren Waldweg und den Blumen wurde es unheimlich zumute. Sonnensprösschen hielt sich dicht hinter Qualle und ihrer Mutter, denn außerhalb des Lichtkreises von Qualles Aquarium konnte man das Blättchen nicht mehr vor Augen sehen.
„Das wird schon wieder in Ordnung kommen“, blubberte Qualle. „Sie muss wieder nüchtern werden und ein paar Tage Schonkost wie zum Beispiel Haferschleim tun ihr sicher auch ganz gut. Eigentlich müsste sie mal dringend abnehmen…“
„Jaaa“, flüsterte KleineBlume und zog Sonnensprösschen hinter sich her, welche sie inzwischen am Blättchen gepackt hatte. Sie waren fast an einer Waldlichtung angelangt, als Qualles Aquarienlicht ausfiel.
„Auch das noch“, brummelte Qualle leise, zog irgendwo einen Stecker und machte sich hektisch an der Aufsetzleuchte zu schaffen. „Ihr bleibt hier ruhig stehen!“ Die Blumen drängten sich an das Untergestell ihres Aquariums und starrten ängstlich in das Dunkel zwischen den Bäumen. Bewegte sich da drüben in den Büschen nicht etwas? Und war da nicht ein unheimliches Rascheln und Stöhnen zu hören?
Das Rascheln und Ächzen kam näher.
„Da kommt was!“ KleineBlume versuchte, am Aquariengestell hochzuklettern und zog Sonnensprösschen mit sich mit.
„Was macht ihr da?“ wollte Qualle erschrocken wissen, da ihr Fahrzeug auf einmal hin- und herschwankte. „Hochklettern. Da kommt was!“ flüsterte KleineBlume erneut und zückte wehrhaft einen ihrer Schraubendreher. Sie ging niemals ohne Schraubendreher aus dem Haus. „Soll iiiich mal nananach dem Licht sehen?“
Das Getrappel wurde lauter. Es näherte sich etwas auf vier großen Pfoten, japsend, hechelnd und schnell. Die Blumen begannen zu kreischen.
„Du meine Güte!“ brummte Wuffi, der vor Qualles mobilem Aquarium gerade noch abgebremst hatte. „Euren Angstschweiß kann ein Hund wie ich ja meilenweit gegen den Wind riechen! Was macht ihr den hier im Dunkeln?“
„Leuchtung kaputt!“ erklärte Sonnensprösschen. Sie war froh, Wuffi zwar nicht zu sehen, aber in ihrer Nähe zu haben.
„Myjonda ist in die Klapse - äh Klinik - abtransportiert worden und wir sollen mit zu Qualle gehen, hat Indi gesagt“, sprudelte es aus KleineBlume heraus. Sie wurde wieder richtig mutig. „Ich wollte gerade nach Qualles Aquariumröhre sehen!“ Sie wedelte mit dem Schraubendreher hin und her und hätte ihn dabei beinahe auf Wuffis Kopf fallengelassen.
„Das mit der Suchtklinik weiß ich schon längst.“, brummte Wuffi. „Über Myjondas Fauxpas hat sogar die niederländische Presse berichtet - mit Foto! Und Indianerin hat mich natürlich benachrichtigt. Lass mich das mal machen mit der Leuchte!“
KleineBlume war erst einmal sprachlos angesichts dieser Neuigkeiten. Myjonda hatte sogar in den niederländischen Zeitungen gestanden! Ob sie wohl in dem rosafarbenen XXL-Babydoll abgebildet worden war? Denn Wuffi hatte ja in der Tat von einem Foto gesprochen…
Während KleineBlumes Überlegungen hatte Wuffi begonnen, nun ebenfalls am Aquariengestell hochzuklettern. Die ganze Konstruktion schwankte noch heftiger hin und her, so dass Qualle ernsthaft um ihr Leben fürchtete. „Sag mal, was soll das?“ piepste sie so aufgeregt, dass viele kleine Blubberbläschen auf einmal an die Wasseroberfläche stiegen. „Bleib gefälligst unten - oder willst du mich umbringen?“
„Das haben wir doch gleich!“ sagte Wuffi, der den Aquarienrand derweil mit beiden Vorderpfoten erreicht hatte und nun versuchte, die Aquarienleuchte anzuheben. „Besser ich als KleineBlume! Die kann alles nur kaputtreparieren!“ Er dachte mit Grausen an KleineBlumes Reparaturversuche an seinem Radio und seinem Waffeleisen zurück (http://www.tausch-buecher.de/forum/Off+Topic-2/ReizwortGeschichten-122.html?page=42 ). Qualle schob ihre Tentakel unter der Leuchte durch - in der Absicht, Wuffi ordentlich auf die Pfoten zu klopfen.
Angesichts dieser unsicheren, wackeligen Situation trauten sich die Blumen plötzlich, sich doch ein paar gerollerte Schritte von Qualles Aquarium zu entfernen. Sie blieben in sicherem Abstand vom Becken stehen und horchten in die Nacht.
Man hörte ein gebelltes „(W)Au!“, dann ein „Plong!“ und kurz darauf ein „Platsch!“
„Jetzt hat sie ihm auf die Pfoten gehauen! Und jetzt hat er die Leuchte hochbekommen und jetzt ist Wuffi nass…“ kommentierte KleineBlume wie eine Reporterin und kicherte.
„(W)Au!“ war wieder zu hören, Geplatsche und ein gezischt-geblubbertes „Ich verpass‘ dir gleich ein Gipsbein…“ von Qualle. Dann hörte man nichts mehr außer Japsen, Geplatsche und Schwappgeräuschen.
Ein Handy klingelte. KleineBlume zog es aus ihrem Topf. Indianerin hatte es ihr geliehen. Mit einem „Jaaa?“ nahm sie den Anruf an.
Myjondas dickliches, vom Alkohol gerötetes Gesicht erschien auf dem schwach beleuchteten Bildschirm des Telefons und am anderen Ende ertönte ihre feucht-fröhliche Stimme in bester Laune: „Na, Indi? Wie geht’s meinen Untergebenen? Ihro Hoheit ist immer für euch dahaaaa!“ Ihre Majestät rülpste so laut, dass KleineBlume das Handy unmittelbar von ihrem Ohr weghielt.
„Äh, hier ist nicht Indi. Hier ist KleineBlume!“versuchte die Pflanze zu antworten, in dem sie dies deutlich in das auf Abstand gehaltene Telefon schrie. Sie überlegte, wie Myjonda in der Klinik wohl an ein Handy gekommen war. „Hach, mein Schätzschen!“ lallte Ihro Hoheit. „Bisschu, bisschu allein, du armes Hä.. Häschn?“
KleineBlume fühlte, wie ihr langsam wieder flau wurde - so flau wie noch vor wenigen Stunden von Indianerins Soße. „Nein“, antwortete sie dennoch tapfer. „Sonnensprösschen und Wuffi und Qualle sind auch noch hier!“ Sie richtete das Handy erst in das Dunkel neben sich, wo sie Sonnensprösschen vermutete. Sie war sicher, dass Myjonda in dieser Schwärze nichts erkennen konnte, doch dies war ihr egal. Sie wollte für heute einfach keine Aufregung mehr, sondern nur noch ihre Ruhe. Sie schwenkte das Handy weiter herum.
„Schau mal, da sind Wuffi und Qualle!“
In dem Moment sprang die Aquarienbeleuchtung wieder an und tauchte alles in grelles, weißes Licht. Wuffi hing mit dem Unterleib im Wasser und klammerte sich mit den Vorderpfoten am Glas fest, während Qualle von unten mit ihrem Körper und ihren Tentakeln gegen ihn drängte, um ihn aus dem Becken zu drücken.
Die Szene und Myjondas geflötetes „Huhu, meine Turteltäubchen! Weiter so!“ gaben KleineBlume den Rest. Sie ließ das Handy fallen und hielt Sonnensprösschen ein Blättchen vor die Augen. Vor ihrem geistigen Auge entstand ein Bild von schwanzwedelnden Quallenbabys mit Schlappohren. Sie schüttelte heftig die Blüte, um dieses Bild loszuwerden.
Neue Reizwörter: weiße Pfefferkörner, Lichterkette, ferngesteuert, bunte Schokolinsen
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