Während Wuffi und Qualle dabei waren, die Erlöse vom Flohmarkt genau zu ermitteln, waren Indianerin die wertvollen Kochbücher eingefallen, von denen Myjonda in der Klinik gesprochen hatte. Zusammen mit den Blumen machte sie sich auf die Suche, denn Ihro Hoheit hatte ja ausdrücklich davon gesprochen, dass diese verkauft werden könnten, um den Wiederaufbau des Tipis zu finanzieren. Im ganzen Schloss stank es immer noch nach dem explodierten Surströmming und nach saurer Sahne.
„Sie wird einen Schock kriegen, wenn sie sieht, was wir hier veranstaltet haben“, dachte sich Indianerin. „Aber andererseits konnte es so auch nicht weitergehen…“ Sie seufzte bei dem Gedanken an ihr zerstörtes Heim.
Myjonda hatte unterdessen beschlossen, sich selbst zu retten - von ihren Freunden hatte sie ja nichts mehr gehört und gesehen. Die Entgiftung war ihr ja gar nicht so schwergefallen, so viel Alkohol hatte sie nun einmal auch nicht zu sich genommen. Von Abhängigkeit konnte gar nicht die Rede sein. Das war alles nur ein bedauerlicher Irrtum und von kaltem Wasserbad, 10 km Waldlauf, hellblauem Nachthemd mit Blümchen und Gesprächstherapie hielt Ihro Vollschlankheit gar nichts.
Sie läutete nach der Oberschwester, wenngleich diese die meisten Patientenklingeln einfach ignorierte.
Doch nach einigen Minuten Warten hörte Myjonda das vertraute, verhasste Knarzen der Zedernholzlatschen. Die Oberschwester öffnete die Tür und Ihrer Majestät fiel es in diesem Moment ein, dass es sinnvoll wäre, sich spätestens jetzt einen Fluchtplan zu überlegen.
„Bereit für Ihr Bad?“ säuselte Schwester Berta.
„Nee, jaaa…“ stammelte Myjonda. In ihrem Gehirn begann es fieberhaft zu arbeiten. Auf ein erneutes kaltes Wasserbad hatte sie keine Lust.
„Na, dann kommen Sie mal mit!“ zwitscherte die Oberschwester. Sie schob den klapprigen Rollstuhl ins Zimmer.
„Ich kann gehen“, erwiderte die königliche Patientin würdevoll, angelte unter dem Bett schnaufend nach ihren rosafarbenen Plüschpantoffeln und überlegte, ob es helfen würde, sie dem Drachen schwungvoll an den Kopf zu werfen. Myjonda schnaufte erneut. Nun ja, von ‚schwungvoll‘ konnte eher nicht die Rede sein und die Pantoffeln waren auch einfach zu weich.
Die Königin lugte während des Angelns an ihrem ausladenden Hintern vorbei zur Tür, ihrem Fluchtweg. Sie seufzte und verwarf den Versuch eines Schnellstartes noch, während sie ihn erwägte.
Auf einmal erstarrte sie: „Oooh - ich glaube, ich habe da gerade einen nackten Mann gesehen!“
„Wollen Sie mich verschaukeln?“ Schwester Berta zischte durch die Zähne.
„Nein, nein“, flötete Myjonda, schlüpfte ohne weiteres Zögern in ihre Pantoffeln und packte den Rollstuhl, um sich an den Griffen festzuhalten. „Kommen Sie, lassen Sie uns nachsehen!“ Die Patientin schob den Rollstuhl in Richtung Tür.
Der Drache folgte ihr: „Sehen Sie hier irgendwo nackte Männer? Ich sehe hier nur unseren Pastor Härzlos am Ende des Ganges stehen.“
Myjonda schaute sich suchend um. „Vielleicht hat sich der Mann in der Wäschekammer versteckt?“
„Halluzinieren Sie?“ Die Oberschwester öffnete die Tür zur Wäschekammer und Myjonda gab der Schwester einen kräftigen Schubs. Rollstuhllehne unter die Tür geklemmt und weiter geht’s. Die Pflegerin würde sich bald befreit haben.
Die Königin watschelte, so schnell sie konnte, den Gang entlang. Dummerweise war der Ausgang genau da, wo Pastor Härzlos stand.
Myjonda setzte ein strahlendes Lächeln auf, als der Pastor sie entdeckte.
„Ah, meine berühmteste Patientin!“ lächelte das Männlein. Er blickte sie aus seinen harten Augen an. „Wie ist das werte Befinden? Wohin um diese Zeit? Sollten Sie jetzt nicht durch Ihr Eiswasserbad erfrischt werden?“ Ein harter Glanz umspielte seine Augen.
Die Patientin lächelte freundlich. „Ich wollte nur noch ein wenig Luft schnappen.“
Der Blick des kommissarischen Klinikleiters verhärtete sich. „Das geht nicht. Das wissen Sie genau!“
„Ach, seien Sie doch nicht so streng!“ Ihro Hoheit lächelte erneut und klappte vor den Augen des Pastors einen ihrer zahlreichen Siegelringe auf. Aus diesem holte sie ein eher eckig geformtes weißes Bonbon hervor, das stark an einen Grillanzünder erinnerte. Sie führte es zum Mund.
„Moment!“ schrie der Pastor. „Das ist verboten! Vermutlich ist da Alkohol enthalten!“ Er hüpfte wie Rumpelstilzchen auf und ab und verlangte, dass Myjonda ihm das Bonbon übergab.
„Ist doch nur ein Hustenbonbon“, flötete die Flüchtige und verbarg das Bonbon hinter ihrem Rücken. „Das ist kein Alkohol - nur harmlose Kräuter!“
Der Pastor wedelte fordernd mit der Hand. „Das können Sie Ihrer Großmutter erzählen, geben Sie schon her!“ herrschte er die Königin an.
„Ich bitte Sie! Wie reden Sie denn mit Ihrer Großherzigkeit?“ erwiderte die Angesprochene empört und ließ das Bonbon in die Hand des Klinikleiters fallen. „Nur harmlose Kräuter, kein Alk…“
„Ja, ja“, brummte Pastor Härzlos und beschnüffelte misstrauisch das Bonbon. Es verströmte einen leichten Geruch nach Hopfen und duftete nach noch etwas Anderem, Undefinierbarem. Er leckte das Bonbon an.
„Iiiihhh!“ quiekte Myjonda. „Nun will ich nicht es nicht mehr. Sie können es selbst essen!“
Der Pastor stopfte sich das Bonbon in den Mund und auf diesen Moment hatte die Königin nur gewartet. „Ich hoffe, es schmeckt Ihnen“, säuselte Ihre Dickleibigkeit und hoffte auf eine schnelle Wirkung von Indianerins Hopfen-Baldrian-Notfallmischung. „Wollten Sie sich nicht gerade auf den Weg zu Zimmer 017 am Ende des Ganges machen?“
„Ach natürlich, meine Teuerste! Danke, dass Sie mich erinnern!“ Der Pfarrer setzte sich in Bewegung - nicht ohne unablässig zu gähnen.
Myjonda schaute ihm nach, dann quetschte sie ihre Massen durch die schweren Eingangstüren nach draußen. Jetzt musste sie nur noch schnell weg von hier, möglichst schnell. Doch wie - in rosa Plüschpantoffeln und ohne Geld? Laufen kam für sie natürlich gar nicht in Frage.
Insofern versuchte es Myjonda auf die althergebrachte, königliche Tour: „Taxiii, Taxiii!“
Neue Reizwörter: Kaffeegedeck, schadstofffrei, Löwenmäulchen, Transfer
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