Am anderen Morgen dröhnte Wuffi in Erinnerung an die schrillende Alarmanlage immer noch der Kopf. Außerdem hatte er schlecht geschlafen. Er hatte nicht nur von Indianerins Senfwickeln, einer im rosafarbenen Babydoll herumtanzenden Myjonda in bester "Alaaaf!"-Stimmung und einer Verfolgung KleineBlume mit einer im Mondschein gefährlich aufblitzenden Heckenschere geträumt, sondern auch von Qualle, die in Dieter Bohlens Armen zu einem unansehnlichen Schleimklumpen dahinschmolz.
Wuffi fühlte sich elend. Träge kratzte er sich mit der rechten Hinterpfote am Bauch, bis ihm ein Gedanke kam - wie ein blitzartiger Kopfschmerz. Der Schlosshund fiel aus dem königlichen Bett. "Der Brief, der Brief - wo ist eigentlich der Eilbrief?" murmelte er vor sich hin und jaulte kurz, bevor er sich von seinem Sturz auf den kalten Steinboden aufrappelte.
Er schüttelte sich einmal kurz und trabte los - am Speisesaal vorbei, an der Schlossküche und schließlich sogar an der Vorratskammer, der er so gerne ab und zu einen heimlichen Besuch abstattete. Die Köchin, die ihn durch einen offenen Türspalt vorbeirennen sah, starrte ihm ungläubig hinterher: "Wie? Heute keine Hungerrevolte? Was ist los?"
"Ein Notfall!" japste Wuffi im Vorbeilaufen. Er eilte zur Poststelle.
"Morgääähn, Qualle!" bellte er und konnte es nicht lassen, seine Pfote in Aquarium zu tunken, um das Meerestier zu ärgern. Qualle funkelte ihn an, ihr Schirm färbte sich in ein wütendes Rot. Wortlos stellte sie den Schnellfilter an.
"Keine Zeit für die Großreinigung, Quällchen", flötete Wuffi ein wenig von oben herab. "Wir müssen den Brief suchen!"
"Brief, was denn für ein Brief?" blubberte Qualle verärgert. "Du bist schon der Zweite, der danach fragt!"
"Wie, der Zweite?" wollte Wuffi verwundert wissen.
Qualle tauchte ab, blickte in ihren Unterwasser-Spiegel und strich sich ein paarmal sorgfältig über den Schirm. Erst dann tauchte sie wieder auf. "Da hat gestern Abend schon jemand angerufen, wegen des Briefes. Aber ich wollte - ich war beschäftigt. " Sie errötete leicht.
Zu Qualles Erleichterung nahm dies Wuffi nicht zur Kenntnis. Mit der Nase am Boden nahm er eine Spur auf: Es roch nach altem Papier, leicht säuerlicher Tinte und deutlich nach einem etwas schweren, eher altmodischen Damenparfüm. Er folgte der Spur, die unter ein Aktenregal führte. Wuffi schnupperte, nieste und steckte dann die Pfote unter das Regal - er tastete hin und her, bis er schließlich den Brief fand und hervorziehen konnte.
"Um den Brief geht es!" brummte Wuffi. "Das ist ein Eilbrief an unsere Rothaut. Wer bringt ihn nun zu ihr? Ich auf jeden Fall nicht, ich habe noch nicht gefrühstückt..." Wuffi klopfte sich bestätigend an den leeren Bauch, der daraufhin ein so lautes Brummen von sich gab, dass Qualle vor Schreck vom Beckenrand plumpste.
"Ich kann auch nicht", erwiderte sie. "Hier in der Poststelle habe ich noch genug zu tun und wer außer mir kann besser sortieren? Schick doch KleineBlume - dann kann sie hier wenigstens nichts mehr anstellen!"
"Die muss noch die Alarmanlage reparieren, falls sie es hinkriegt", meinte Wuffi gleichgültig. Er wollte nun endlich zum Frühstück. "Ich gebe den Brief Sonnensprösschen. Die kriegt das hin." Er setzte sich in Bewegung.
"Sonnensprösschen? Aber Sonnensprösschen ist doch noch total grün hinter den Ohren äh...", stotterte Qualle, " - ich meine, sie hat doch noch alle Milchzähne beisammen..., äh, sie ist zu jung!"
Der Rüde zuckte teilnahmslos die Achseln: "Nicht mein Problem." Er packte den Eilbrief vorsichtig zwischen den Zähnen und machte sich auf die Suche nach Sonnensprösschen.
Er fand die zierliche Pflanze neben einer der königlichen Graviermaschinen, mit der KleineBlume das von Myjonda gekaufte Billig-Werkzeug für den Schloss-Folhmarkt personalisiert hatte. Wuffi hatte kaum Zeit, um darüber nachzudenken, warum Sonnensprösschen bei den Maschinen stand, ob es beispielsweise darüber nachdachte, sich mithilfe einer der Maschinen ein Tattoo zuzulegen - er hatte Hunger und es daher eilig. Er ließ den Brief aus seinen Fängen in Sonnensprösschens Blättchen fallen. "Kannst du den Brief ganz schnell zu Indianerin bringen? Das ist wichtig! Nicht verlieren!" Er guckte Sonnensprösschen prüfend ins Gesichtchen.
Das Blümchen nickte. "Kei Poblem", sagte es mit ernster Miene. "I kann das." Die Kleine nickte Wuffi noch einmal zu und machte sich auf den Weg zum Tipi. Sie rollerte schnell, den Brief, dessen Ecken leise im Fahrtwind flatterten, hielt sie mit beiden Blättchen ganz fest. "Uff", machte sie.
Wuffi sah ihr besorgt nach. Hm, hatte er richtig entschieden, indem er gerade das kleinste und jüngste Mitglied des Freundeskreises auf die Reise schickte? Für kurze Zeit schuldbewusst kratzte er sich mit der Pfote am Kopf, dann machte er sich auf zur Schlossküche.
Neue Reizwörter: grüne Pillen, Begrüßungsgeschenk, faseln, Wilder Waldmeister
|