KleineBlume ließ sich von Indianerins Kritik an ihren Sangeskünsten nicht stören, sondern trällerte weiter in den höchsten Tönen vor sich hin. Wuffi überlegte einen kurzen Moment lang, ob er sich die Ohren zuhalten und auf den Hinterpfoten weiterlaufen sollte.
Doch Indianerin hatte schon ein probates Mittel gefunden, um KleineBlumes schräges Jubilieren zu stoppen. „Es ist ja schön, dass du wieder so gute Laune hat, KleineBlume – aber wir müssen jetzt erst einmal zum Keramikstand zurück. Das kaputte Töpfchen ist ja kein Zustand!“
KleineBlume hielt in ihrem Geträllere inne und schaute unglücklich nach rechts und links über den Rucksackrand hinaus. „Aber ich will nicht“, nuschelte sie kleinlaut in den Rucksack hinein und putzte dabei versehentlich ihren ketchup-senf-verschmierten Mund am Rucksackstoff ab.
Indianerin stiefelte über den Weihnachtsmarkt. „Ich habe keine Lust, mich hier bis Silvester aufzuhalten“, brummte sie ein wenig missmutig in ihren Schal und näherte sich mit großen Schritten dem Keramikstand. Je näher sie dem Stand kam, desto tiefer rutschte KleineBlume in den Rucksack hinein. Die Sache mit dem kaputten High-Tech-Topf war ihr sehr unangenehm. Wuffi beobachtete Blumes Verhalten mit schadenfrohem Grinsen.
Die Indianerin stellte den Rucksack ab, aus dem mittlerweile nur noch ein paar rote Blütenblättchenenden herausschauten. „KleineBlume, nun stell dich nicht so an!“ befahl Indianerin streng und schob ihre Hand zwischen die Stoffseiten. „Autsch!“ rief sie sodann und zog die Hand in Windeseile zurück.
Verdattert schaute Wuffi Indianerin an: „Hat KleineBlume dich gebissen? Oder war’s die Schnappschildkröte?“ Flugs trippelte Wuffi einige Schritte zurück und warf der Tasche einen misstrauischen Blick zu.
„Unsinn, Wuffi“, erwiderte die Indianerin. „Ich habe mich nur an den Stricknadeln gepiekt, die ich für Tante Klärchen besorgen sollte. Und ich habe ganz vergessen, dass ich ihr auch noch passendes Strickgarn mitbringen soll!“ Sie wandte sich erneut dem Rucksack zu: „Nun komm raus, KleineBlume! In dem engen Beutel werden deine Blättchen sonst noch zu Blattspinat!“
Gespannt beobachteten Wuffi und die Indianerin, wie sich die roten Blütenblättchenenden zu verlängern schienen, bis schließlich eine komplette Blüte mit KleineBlumes unverkennbarem Gesichtchen zum Vorschein kam. Das Gesichtchen blickte recht mürrisch und verdrossen drein.
„Na, nun komm schon!“ forderte ihre große Freundin die Blume auf.
KleineBlume seufzte einmal tief, so dass ihre Blütenblätter unruhig zitterten, dann schwang sie sie aus dem Rucksack. Ängstlich hielt sie ihre Blättchen vor die Kerbe im Töpfchen und rollerte zu der alten Frau am Keramikstand.
„Mir ist da… eiein Missgeschick passiert“, brachte KleineBlume hervor.
Die hutzelige Frau nahm KleineBlume wortlos am Topf hoch, strich mit rauer Hand ihre Blättchen beiseite und betrachtete den Schaden. Der tollkühnen Topf-Pilotin wurde es immer mulmiger zumute.
„Hm“, sagte die bejahrte Verkäuferin und stellte KleineBlume mitsamt Topf auf den Boden. „Umtausch ist natürlich nicht möglich.“ Unglücklich ließ KleineBlume die Blütenblättchen hängen. Die alte Frau verschwand jedoch im hinteren Teil ihres Verkaufsstandes und kehrte alsbald mit einer Tube Sekundenkleber zurück. KleineBlume wurde aus dem Topf gehoben und auf die kalten Pflastersteine abgesetzt. Frierend presste sie die Wurzeln aneinander. Indianerin reichte der Verkäuferin wortlos die Scherbe, die sie glücklicherweise noch im Rucksack gefunden hatte. Wuffi konnte es nicht lassen und schnupperte neugierig an der Blume, die sich durch die Hundenase so sehr gekitzelt fühlte, dass sie Wuffi ins Gesicht nieste.
„Igitt“, Wuffi schüttelte sich. „Dummes Blumenvieh!“
KleineBlume starrte Wuffi überrascht an, beobachtete dann aber wieder die Keramikhändlerin, die nun die Scherbe kräftig andrückte und einige Zeit festhielt. Nach mehreren Sekunden deutete die KleineBlume, wieder vorsichtig Platz zu nehmen. „Ob noch alle Funktionen da sind, weiß ich nicht“, sagte die alte Frau und wandte sich ab.
„Was sind wir Ihnen schuldig?“ fragte Indianerin.
„Nichts“, meinte die Alte wortkarg. „Aber sie sollte besser aufpassen!“ Sie nickte zu KleineBlume hinüber, die in diesem Moment am liebsten eine SehrsehrsehrsehrsehrKleineBlume gewesen wäre, ein klitzekleiner Keimling, der eben dabei war, die ersten Erdkrumen beiseite zu schieben.
Indianerin nickte und bat dann etwas verlegen: „Ich würde den zweiten, einfacheren Topf gerne auch noch kaufen. Zur Sicherheit. Bei dem Verschleiß…“ Sie stand mit roten Wangen vor der Händlerin.
Verdient hatte KleineBlume das ja eigentlich nicht…
Schweigend wickelte die alte Frau den gewöhnlichen braunen Topf in Papier ein und reichte ihn Indianerin. Diese bezahlte und klemmte sich den Topf sicherheitshalber unter den Arm.
„So, nun noch schnell zur Krankenkasse“, sagte sie zu KleineBlume und Wuffi. „Ich muss dort noch ein Schreiben von Tante Klärchen einwerfen.“ Sie schulterte den Rucksack und marschierte los. „Dann das Garn kaufen und dann endlich ab nach Hause. Der Tag war ereignisreich genug und ich muss ja auch noch meine Jacke saubermachen, den Rucksack offenbar auch…“
Sie warf Wuffi einen strengen Blick zu und drehte sich auch zu KleineBlume herum, die kleinlaut in dem bei jedem Schritt wippenden Rucksack stand.
Stumm sahen Indianerins Weggefährten zu Boden.
Neue Reizwörter:
Freitag, zyklische Bahnen, Kaffeesatz, orange
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